Donnerstag, 18. Oktober 2007

Who wants to be my God?

Für dieses Wochenende habe ich mir frei genommen.
Ich gönne mir für drei Tage den Luxus, mich von allen gesellschaftlichen Verpflichtungen loszusagen. Dazu gehört: kein gemeinsames Abendessen, keine gemeinsame Zigarette und kein gemeinsames Clubbing.

Mittlerweile bin ich seit knapp sieben Wochen in Taiwan und ich habe nicht einen einzigen Tag davon alleine verbracht. Ich wache nicht alleine auf, ich gehe nicht alleine zur Uni, ich bin den ganzen Tag von Kommilitonen umgeben und meinen Abend teile ich mit Freunden aus dem Wohnheim oder meinem Roommate. Ich mag diese Menschen. Ich bin gerne mit ihnen zusammen. Aber in der vergangenen Woche ist mir auch bewusst geworden, dass ich dringend mal Zeit für mich brauche. Und da mein Zimmergenosse heute den ganzen Tag unterwegs ist nutze ich die Gelegenheit und nehme mir eine Auszeit.

Stellt sich nun die Frage: Was macht der urbane Mitt-Zwanziger von heute an einem Tag, der ganz alleine ihm gehört? Richtig: Schuhe kaufen!
So bin ich also nach Downtown gefahren und durch etliche Warenhäuser und Boutiquen gestapft bis ich endlich am Ende eines grellen und kühlen Ganges in einem Converse-Shop meine neuen Lebensabschnittsgefährten gefunden habe. Schön.
Zur Belohnung gab’s einen Big Mac bei McDonald's. Ich zog es vor, meinen Burger (bzw. Sandwich, wie man hier zu sagen pflegt) vor Ort einzunehmen und setzte mich ans Fenster. Nach fünf Minuten kam ich mir vor wie ein Schimpanse im Zoo. Man schaut nicht nur, Nein!, nach dem Vorbeigehen dreht man sich auch gerne nochmal um, um sich zu vergewissern, dass da gerade ein Europäer im Schaufenster gesessen hat. Ich war wirklich ganz kurz davor, aus meiner Unterlage ein Warnschild zu basteln: "Vorsicht: Affen werfen mit Kot!".

Das passiert mir nicht, wenn ich mit anderen unterwegs bin. Oder zumindest selten. Letztes Wochenende zum Beispiel sind wir in die Berge gefahren, zum Sun Moon Lake (dieser Name ist meiner Meinung nach übrigens absolut an den Haaren herbei gezogen, aber nach meiner Meinung fragt in diesem Blog ja niemand :/ ).

Der Sun Moon Lake liegt in Central Taiwan, etwa dreieinhalb Autostunden von Taipei entfernt. Wir zogen es vor, mit dem Zug zu reisen und mussten nochmal ne Stunde dranhängen. Dabei kam bei uns aber richtiges Backpacker-Feeling auf, welches mich in höchste Ekstase versetzte. Nicht zu wissen, ob man gerade im richtigen Bus sitzt oder wo man die Nacht verbringt – da steh ich drauf!

Auf unserer Reise mussten wir zwei Mal umsteigen und hatten jedes Mal Zeit, den Ort, in dem wir gerade gelandet sind, näher zu erkunden. Und dort (in Ershui und Shuili) kommt es einem dann tatsächlich so vor, als hätten die Leute noch nicht einmal den Hauch einer Ahnung gehabt, dass auf dieser Welt noch Menschen mit großen Kulleraugen und annähernd weißer Haut umher laufen.

An solchen Orten stößt man dann auch wirklich an die Grenzen der Kommunikation. Es war schlicht nicht möglich, jemandem zu erklären wo man hin möchte und noch viel unmöglicher zu erfahren, in welchen Bus man vorteilhafterweise steigen sollte. Umso glücklicher waren wir als wir auf ein taiwanesisches Pärchen aus Taipei trafen, das zu Besuch in der Gegend war und uns detailliert den Weg zum Sun Moon Lake beschreiben konnte. Oben angekommen erwartete uns dann eine Kleinstadt-Idylle, die Dawson’s Creek bei weitem in den Schatten stellt: dutzende kleine Gässchen mit unzähligen kitschigen Geschäften und Restaurants, quasi null Verkehr und ein riesen großer See umrandet von meterhohen Palmen und pompösen Tempelanlagen. Wir haben uns einen ganzen Tag Zeit genommen, um den See zu umrunden und die einzelnen Tempel zu besichtigen, jeder glamouröser und Ehrfurcht-einflößender als der andere. Von außen wirken sie wie Paläste, von innen wie Schatzkammern, und ich fühlte mich wie Lara Croft auf der Suche nach der Unsterblichkeit.

Aberwitzig hingegen sind die Größenverhältnisse der Tempelanlagen zu den Gottesbildern, die oft nicht größer sind als zwei Quadratmeter. Eine Amerikanerin, mit der ich unterwegs war, erklärte mir das Procedere: man nehme eine Räucherkerze, zünde diese an und kniehe damit vor dem Gott, um um sein Wohlwollen zu beten. Daraufhin fragte ich sie, welcher Gott denn das nun wäre, schließlich gibt es ja für jedes Anliegen ein eigenes Gottesbild. Leicht entnervt gestand sie mir schließlich, dass sie das gerade nicht wüsste und ich doch auch einfach zu meinem eigenen Gott beten könnte. „Ja super“, dachte ich mir im Stillen, „dann können die Leute ja auch alle zu Haus bleiben und von ihrem Fernseh-Sessel aus beten zu wem sie gerade Lust haben!“. Ich zog es vor, meine Gedanken für mich zu behalten und einfach den Kopf zum Gebet zu senken. Eine Tempelanlage schien mir nicht der richtige Ort, um über Sinn und Unsinn von Gottesbildern zu debattieren. Nächstes Mal frage ich einfach direkt den ersten Mönch am Platze.

Der Rest der Reise gestaltete sich sehr entspannend und wohltuend, nachdem man über Wochen nichts anderes als Hektik, Schmutz und Großstadtlärm gewohnt war. Der Spa-Bereich im Hotel tat dann am Abend sein Übriges. Wir haben es uns selbstverständlich nicht nehmen lassen, diesen Luxus standesgemäß mit einer Flasche Champagner zu genießen. So viel Dekadenz darf dann doch mal sein!

An Tagen wie heute ist es mir allerdings Luxus genug, mal unbeeindruckt von Allem ganz stupide vor meinem Laptop zu sitzen, Musik zu hören und meine Gedanken mit der Welt zu teilen. Ohne Spa und Champagner, dafür mit Kinderschokolade und meinem mittlerweile obligatorischen Whiskey.
Und ich bin mir fast sicher, dass mir „mein Gott“ die ganze Zeit über die Schulter geguckt hat und sich jetzt schön eins ins Fäustchen lacht.

Sun Moon Lake